Von Ursache, Wirkung, Schuld und Verantwortung

Wie ich bereits mitgeteilt habe, schreibe ich gerade an einem 11. Büchlein, in dem ich mich über den Begriff der logisch/statistischen Schlussfolgerung („Implikation“), dann zum Begriff von Ursache und Wirkung (naturwissenschaftlich und wesentlich) und schließlich zu den Begriffen von Schuld, Verantwortung und Sühne durcharbeiten möchte.

Eigentlich kommt das daher, weil ich manchmal selber Ursache/Wirkungs-Zusammenhänge herbeiphantasiere (die es IN WIRKLICHKEIT nicht gibt) und aus diesem Grund das Thema analysieren möchte.

Hier die ersten Kapitel

Was ist Schuld?

Ich möchte dieses Büchlein mit einem Zitat meiner Mutter beginnen.

Eines Tages wurde sie als Zeugin zu einem Unfall befragt und sagte sinngemäß: „Wäre der Mann nicht dort gewesen, dann wäre dieser Unfall nicht passiert, er ist also SCHULD an diesem Unfall“.

Abgesehen davon, dass sie gar nicht gefragt wurde, wer schuld sei, sondern einfach die Fakten hätte darlegen sollen – dass sie also vor­schnell geurteilt hatte –, zeigt dieser Vorfall, dass diese liebenswerte, gute Mutter, trotz aller ihrer Liebenswürdigkeit keine Ahnung von Logik hatte.

Denn die Tatsache, dass der Unfall ohne diesen Mann nicht hätte stattfinden können, heisst ja nicht, dass der Unfall stattgefunden hat, WEIL der Mann dort war. Es heisst nur, dass wir darauf schliessen können, DASS dieser Mann dort war, WEIL wir wissen, dass der Unfall stattgefunden hat.

Das heisst, dass durch diese Aussage nicht einmal festeht, dass die Präsenz dieses Mannes die hinreichende „Ursache“ für den Unfall war, ganz zu schweigen von der Schuldfrage

Und so wollen wir uns an die Schuldfrage vorsichtig herantasten.

Sozusagen zum Aufwärmen werden wir uns mit Logik beschäftigen und mit einer binären Funktion, die man als „Implikation“ bezeich­net.

Danach werden wir uns näher mit dem Begriff der „Ursache“ beschäftigen, wozu wir wieder einen Exkurs in die Natur­wissen­schaften vornehmen müssen.

Und dann werden wir philosophisch werden. Wir werden uns nach einer letzten Ursache fragen und wir werden beginnen, den Begriff der Schuld zu wälzen, der ja ein philosophischer Begriff ist.

Zwischendurch werden wir uns auch mit „multikausalen Zusammenhängen“ beschäftigen und last but not least mit dem beliebten „Schmetterlingseffekt“.

Auch die Begriffe der Freiheit und der Verantwortung muss man dabei streifen.

So werde ich mich bemühen, dass auch dieses Büchlein ein kurzer Abriss zu einem Thema sein wird, der hoffentlich zu weiteren Gedanken anregen wird.

Meint

Euer Christoph

Die Implikation („Schlussfolgerung“)

Wie wir schon kurz erwähnt haben, ist die Implikation eine binäre logische Funktion, die also aus zwei Aussagen (aus zwei binären Aus­drücken) eine dritte Aussage (also einen zusammengesetzten binären Ausdruck) ableitet.

Wie können wir das verstehen, was ist ein binärer Ausdruck, bzw. was ist eine sogenannte „Aussage“?

Eine Aussage ist ein Ausdruck, der einen von beiden Werten annehmen kann, nämlich „wahr“ oder „falsch“.

Nehmen wir zum Beispiel die

Aussage A: Draussen ist schönes Wetter.

Wenn wir einmal davon ausgehen, dass die Begriffe „draussen“, „schön“ und „Wetter“ hinreichend klar definiert seien, dann kann diese Aussage nur zwei Werte haben.

Die Aussage A ist also entweder „wahr“ (draussen ist tatsächlich schönes Wetter) oder „falsch“ (draussen ist tatsächlich kein schönes Wetter).

Wenn wir nun mehrere male diese Aussage auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen, zum Beispiel zu verschiedenen Zeiten und an verschie­denen Orten, dann werden wir bei N Überprüfungen M0 mal fest­stellen, dass die Aussage wahr ist und M1 mal, dass sie falsch ist.

N = M0 + M1, N 0, M0 0, M1 0

Wert der Aussage Anzahl der Treffer
Überprüfung ergibt „wahr“ M0
Überprüfung ergibt „falsch“ M1
Anzahl der Überprüfungen N = M0 + M1

Eine Aussage, die IMMER und ÜBERALL denselben Wert hat – nämlich generell „wahr“ oder „falsch“ ist – nennen wir eine „absolute“ Wahrheit bzw. eine „absolute“ Unwahrheit, weil ihr Wert nicht von den Umständen abhängt, sondern konstant ist.

Wie können wir nun zwei Aussagen miteinander verknüpfen?

Es gibt mehrere Möglichkeiten, zwei Aussagen miteinader zu verknüpfen. Wir wollen uns nur mit einer einzigen davon beschäf­tigen, nämlich mit der sogenannten „Implikation“.

Wenn wir zwei Aussagen A und B haben, also z.B.

Aussage A: Draussen ist schönes Wetter, und

Aussage B: Ich gehe in den Park,

dann könnte ich eine dritte Aussage C tätigen:

Aussage C: WENN draussen schönes Wetter ist, DANN gehe ich in den Park.

In der Mathematik bezeichnet man eine derartige Verknüpfung als „Implikation“ und schreibt:

C = (A => B) = (A v B)

Wir werden gleich verstehen, was das bedeutet.

Nehmen wir an, da sei ein Außerirdischer, der den Zusammen­hang zwischen dem Wetter und meiner Anwesenheit im Park erfor­schen möchte. Er vermutet, dass es einen Zusammenhang gibt, weiss aber sonst nichts, auch die Aussage C ist ihm unbekannt.

So wird er sich daran machen, jeden Tag mein Verhalten und das Verhalten des Wetters zu notieren und das Auftreten der vier möglichen Fälle zu zählen.

Nehmen wir an, am ersten Tag sei schönes Wetter und ich sei im Park. Das Ereignis (A=“wahr“ und B=“wahr“) ist also bereits ein mal eingetreten, weshalb er eine eins links oben in seiner Matrix notiert.

Eingetretene Fälle nach N=1:

A ist „wahr“ A ist „falsch“

B ist „wahr“

1

0

B ist „falsch“

0

0

Am zweiten Tag könnte es sein, dass kein schönes Wetter ist, dass ich aber trotzdem im Park bin (ich habe ja nur gesagt, DASS ich im Park bin, WENN schönes Wetter ist. Ich habe aber nicht gesagt, dass ich NICHT im Park bin, wenn KEIN schönes Wetter ist).

Damit schaut die Tabelle nun aus wie folgt:

Eingetretene Fälle nach N=2:

A ist „wahr“ A ist „falsch“

B ist „wahr“

1

1

B ist „falsch“

0

0

Am dritten Tag könnte es sein, dass ich NICHT im Park bin, und dass DESHALB kein schönes Wetter ist (das „DESHALB“ lassen wir mal einfach so stehen).

Eingetretene Fälle nach N=3:

A ist „wahr“ A ist „falsch“

B ist „wahr“

1

1

B ist „falsch“

0

1

Nur der Fall, dass ich bei schönem Wetter NICHT im Park bin, „darf“ nicht eintreten, es sei denn, ich hätte gelogen.

Nach vielen Überprüfungen, zum Beispiel am 100sten Tag, könnte die Tabelle aussehen wie folgt:

Eingetretene Fälle nach N=100:

A ist „wahr“ A ist „falsch“

B ist „wahr“

50

10

B ist „falsch“

0

40

 

Aus dieser Statistik können wir mehrere Dinge ablesen:

  1. Ich habe nicht gelogen, weil links unten eine Null steht. Die Aussage C (also „nicht A oder B“) ist IMMER wahr.
  2. Das Wetter ist genau so oft schön, wie es nicht schön ist, weil in beiden Spalten der Matrix gleich viele Ereignisse liegen
  3. Ich gehe nur an 2 von 10 Schlechtwettertagen in den Park, an 8 von 10 Schlechtwettertagen bleibe ich zu Hause.

Aber was kann der Außerirdische ablesen, der ja keine Ahnung vom WESEN des Wetters, meiner Anwesenheit im Park und von meiner Aussage C hat?

Weil im linken unteren Element der Matrix kein Ereignis stattfindet, gibt es zwei Möglichkeiten, diese Statistik zu interpretieren:

  1. WENN es schönes Wetter hat („linke Spalte“), DANN gehe ich in den Park („obere Zeile“)
  2. WENN ich zuhause geblieben bin („untere Zeile“), DANN hat es schlechtes Wetter („rechte Spalte“)

Aus der Tatsache, dass es schlechtes Wetter hat („rechte Spalte“), kann man aber keine Rückschlüsse ziehen, denn dann ist sowohl die obere als auch die untere Zeile möglich.

Aus der Tatsache, dass ich im Park war („obere Zeile“), kann man ebenfalls keine Rückschlüsse ziehen, da in der oberen Zeile beide Spalten möglich sind.

Der Außerirdische kann also feststellen, dass es offensichtlich nach einer langen Reihe von Versuchen eine Implikation der Form

(A => B) = (┐B => ┐A)

gibt.

Er weiss aber eines noch nicht:

Ist jetzt das Schönwetter die hinreichende Ursache für meine Anwesenheit im Park oder ist meine Abwesenheit vom Park die hinreichende Ursache für Schlechtwetter.

Wie es scheint – und nur wir sehen das jetzt, weil wir die wahren Zusammenhänge kennen, der Außerirdische kann das noch nicht sehen – ist ein rein statistisch/logischer Zusammenhang – eine Implikation – noch lange kein Beweis für einen Zusammenhang im Sinne von Ursache und Wirkung.

Von Schuld und Sühne ganz zu schweigen.

Annäherung an Ursache und Wirkung

Freilich stellt sich nach all diesen Überlegungen die Frage nach Ursache und Wirkung umso stärker.

Denn was soll eine rein logisch/statistische Schlussfolgerung mit dem Begriff von Ursache und Wirkung und vielleicht sogar mit dem Begriff von Schuld und Sühne zu tun haben?

Nehmen wir wieder die Aussage

C = (A => B) = (A v B)

und vertiefen uns darin.

Bei einer Implikation wird die Aussage am Schaft des Pfeiles (also hier die Aussage A) als die hinreichende Bedingung bezeichnet, während die Aussage an der Spitze des Pfeiles (hier also B) die notwendige Bedingung ist.

Der Begriff „Bedingung“ sagt aber noch nichts aus über den Begriff von „Ursache und Wirkung“.

Lassen wir das sickern.

Wenn wir bei unserem Beispiel bleiben, dann ist schönes Wetter die hinreichende Bedingung dafür, dass ich im Park bin. Wir sind ge­neigt, das schöne Wetter auch als „Ursache“ für meine Präsenz im Park anzusehen.

Nach unserer Sprechweise ist aber auch die Tatsache, dass ich im Park bin, die notwendige Bedingung für schönes Wetter. Denn wenn ich nicht im Park wäre, dann wäre sicher schlechtes Wetter (bei schönem Wetter wäre ich ja im Park) – es sei denn, ich hätte gelogen.

Wir sehen schon, dass wir uns schwer tun, meine Nicht-Präsenz im Park als „Ursache“ für das schlechte Wetter anzusehen, wenngleich sie eine hinreichende Bedingung dafür ist.

Umgekehrt fällt es uns leichter, das schöne Wetter als „Ursache“ für meine Präsenz im Park anzusehen, obwohl nach Logik und Statistik beide Aussagen gleichwertig sind:

(A => B) = (┐B => ┐A)

Beim Begriff von Ursache und Wirkung kommen weitere Überlegun­gen hinzu.

So gehen wir davon aus, dass Ursache und Wirkung nahe beieinander liegen müssen, sowohl räumlich als auch zeitlich, und dass die Ursa­che immer vor der Wirkung stattfindet.

Weiters erwarten wir eine vernünftige Erklärung, die es einsichtig macht, WARUM eine Ursache und eine Wirkung mitei­nan­der ver­knüpft sind, unabhängig von der Statistik und auch bei Betrach­tung von Einzelfällen.

Letzten Endes haben wir in unserem Beispiel also eine indirekte Ur­sa­che. WEIL wir davon ausgehen, dass ich nicht gelogen habe, als ich Aussage C getätigt habe, DARUM können wir Schlussfol­ge­run­gen zwischen dem Wetter und meiner Präsenz im Park ziehen.

IN WIRKLICHKEIT ist die kausale Verknüpfung zwischen diesen beiden Ereignissen sehr viel komplizierter.

Wie wäre es, wenn wir schlechtes Wetter als notwendige Ursa­che für mein Fernbleiben vom Park betrachten, wobei wir bei schlechtem Wetter aber sekundäre Ursachen betrachten müssen, die dann über meine Präsenz im Park entscheiden. Dann wäre wieder das Wetter (gemeinsam mit den Sekundär­ur­sa­chen) die Ursache und die Präsenz im Park wäre die Wirkung.

Und letzten Endes wird es sogar Tage geben, an denen Aussage C einfach nicht zutrifft. Sei es, weil ich krank bin, weil ich einfach keine Lust habe, in den Park zu gehen, oder weil ich auf Urlaub bin.

 

?????

Aber wenn wir noch immer nicht wissen, was das Wesen von Ursache und Wirkung ist, wie können wir dann behaupten, der Irknall sei die Ursache für das Universum und das Leben?

 

Usw. usw.

Meint

Euer Christoph

3 Responses to Von Ursache, Wirkung, Schuld und Verantwortung

  1. Kardinal Novize Igor sagt:

    Was in der puren Logik dieser Matrizen zwangsläufig nicht vorkommen kann, ist die Gewichtung von A und B.

    Angenommen, es gäbe einen Planeten, wo tatsächlich das ausser-Haus -sein eines Bewohners über das Wetter entscheidet: Dann hätte diese Matrix eine andere Bedeutung -bei gleicher Form.

    Ich nehme an, dass das dann in Teil 2 behandelt wird? Würde sich dann der Wortlaut des Satzes ändern?

    LG KNI

  2. Yeti sagt:

    Genau so ist es. Der Satz müsste „irgendwie“ umformuliert werden.

    Wir haben in der Deutschen Sprache nur „wenn, dann…..“ zur Verfügung, sowohl für die logisch/empirische Schlussfolgerung als auch für die Ursache/Wirkungs-Beziehung.

    Im Englischen tut man sich leichter, dort kann man „when, then ……“ für die rein empirische Schlussfolgerung und „if, then ……“ für die Ursache/Wirkungs-Beziehung verwenden.

    Lustig wird es bei „multikausalen“ Beziehungen, wo zwei oder mehr Ursachen „gleichzeitig“ eintreffen müssen, um eine bestimmte Wirkung hervorzurufen. Jede Ursache für sich ist „notwendig“. Erst gemeinsam sind sie „hinreichend“.

    Oder bei „zusammengesetzten“ Ursachen, wo z.B. die arithmetische oder vektorielle Summe von zwei Ursachen die „eigentliche“ Ursache für die Wirkung ist.

  3. […] möchte ich mich in einem elften Büchlein beschäftigen. Und ich habe die ersten Kapitel schon hier […]

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