Nun haben wir im 14. „Kleinen religiösen Büchlein“, welches HIER: https://letztersein.com/2023/03/02/von-sinn-und-unsinn-des-gewissens-2/ abgedruckt ist, einige Gedanken zum Gewissen angestellt.
Diese Gedanken wollen wir jetzt abschließen, und zwar mit einem letzten Kapitel, sozusagen einem Resumee.
Existenzangst und Gewissen
Dieses Gewissen, diese „Fähigkeit der Vernunft zu erkennen was recht ist“, muss also im Laufe des Lebens gebildet, weitergebildet, ausgebildet werden, und sie kann natürlich auch VERbildet werden.
In erster Linie ist aber das Gewissen ein Gefühl, ein „ungutes Gefühl“, das uns sagt, wenn etwas, das wir getan, gesagt oder gedacht haben, in unseren Augen „nicht so ganz richtig war“.
Einmal ist es mir passiert, dass ich jemandem ein schlechtes Gewissen gemacht habe, und er hat mir geantwortet: „jetzt hast Du es geschafft, dass ich mich schlecht fühle“. Ein schlechtes Gewissen ist also in erster Linie ein „schlechtes Gefühl“.
Dieser Gedanke führt uns zu der Überlegung, dass „die Mutter aller unguten Gefühle“ natürlich die Angst ist, und die „Mutter aller Ängste“ ist doch die Existenzangst. Ist doch so.
Existenzangst ist der Zweifel daran, dass ICH dieses Leben überstehen werde, der Zweifel an meiner eigenen Konstanz. „Ich werde nicht bestehen“, das ist die Grundaussage der Angst.
Jeden Tag erkenne ich meine Abhängigkeit von anderen Menschen. Wenn meine Mitmenschen mich „aussondern“, dann werde ich bald tot sein. Grunderkenntnis des Menschen, die wir aber im Unterbewusstsein „vergraben“, weil wir diese „nackte Tatsache“ nicht wirklich aushalten.
In Grenzsituationen, im Krieg, auf der Flucht, bei schwerer oder ansteckender Krankheit, oder bei ähnlichen Gelegenheiten, kommt diese Urangst hoch und muss bewältigt werden, aber der „normale, zivilisierte, gut situierte“ Mensch hat diese Angst „gebändigt“ und ersetzt sie zum Beispiel durch eine „Angst vor Armut“, durch eine „Angst vor Arbeitslosigkeit“, eine „Angst vor Faschismus“ oder ähnliche Ängste.
Was haben nun all diese Ängste mit dem Gewissen zu tun?
Nun, es ist einfach.
Stellen wir uns ein Kind im Mutterleib vor. Ich denke doch, dass ein Kind im Mutterleib irgendwie „mitbekommt“, wenn es der Mutter schlecht geht. Das ist vielleicht die erste aller Existenzängste, die wir erleben können.
Trotzdem glaube ich nicht, dass das Kind im Mutterleib sich selbst die Schuld gibt, wenn „es schlecht läuft“. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Kind im Mutterleib irgend eine Form von „schlechtem Gewissen“ haben könnte. Vielleicht bekommt es sogar eine äußere Ursache dafür mit, wenn es der Mutter schlecht geht, zum Beispiel, weil der Vater mit der Mutter geschrien hat.
Wenn wir dann geboren sind, beginnt das Drama der Bestrafungen.
Wir erkennen, dass uns die anderen manchmal lieb haben, und manchmal nicht, wir erkennen aber auch, dass wir von der Liebe unserer Mitmenschen abhängig sind.
Wir werden also – ganz allgemein gesprochen – die Wertevorstellungen der Menschen, von denen wir abhängig sind, übernehmen, um Existenzängste zu vermeiden.
In dieser an sich aussichtslosen Situation müssen wir unsere eigene Persönlichkeit entwickeln und Selbstsicherheit aufbauen. Ein Drama, das nicht selten in einer Tragödie endet.
Das DU-Gewissen ist also die Abhängigkeit von der Mutter im Mutterleib. Das DU-Gewissen kennt keine Schuldgefühle. Es bezieht sich nicht nur auf die Mutter, sondern auch auf den EWIGEN VATER, das EWIGE DU, das wir ein Leben lang suchen und im Tod – hoffentlich – finden werden.
Das WIR-Gewissen kennt auch keine Schuldgefühle, denn WIR SIND DIE GUTEN. Jede brauchbare Familie entwickelt ein WIR-Gefühl und ein WIR-Gewissen. Aber auch andere Gemeinschaften können ein WIR-Gewissen entwickeln. Sowohl im guten Sinne – zum Beispiel bei ethisch wertvollen Gruppierungen – als auch im schlechten – bei ethisch fragwürdigen Ansammlungen von Menschen.
Das ES-Gewissen, bzw. SIE-Gewissen entspringt der Existenzangst und macht uns Gewissensbisse. Ich „muss doch“ mein Leben danach ausrichten, „was die anderen wollen“. „Es wäre gut“, wenn ich mich nahtlos in die Gesellschaft einfüge. „Man sollte doch“ ein braver Mensch sein, und so weiter, und so weiter.
Der fortgeschrittene Beter kann auch ein IHR-Gewissen erleben, wenn er nicht mit dem EWIGEN DU in Kontakt tritt, sondern mit dem dreifaltigen Gott, den man tatsächlich auch in der Mehrzahl ansprechen kann. Das führt dann aber meistens zu Gelächter.
Meint
Euer Christoph
Nur ein paar Gedankensplitter: Der Zusammenhang zwischen Gewissen und Angst ist sehr gut entdeckt. Da kann man drauf aufbauen.
Ich glaube aber, dass das Gewissen weit mehr ist als nur ein Gefühl. Ich weiß nicht, ob du das mit dem DU-Gewissen gemeint hast, das sollte man noch klären.
Weil: Umgekehrt kann man ja auch gegenüber dem Ewigen Vater Schuldgefühle haben – es ist ja nicht so, dass wir, nur weil wir ein DU-Gewissen haben, auf einmal die großen Heiligen wären.
Da fehlt noch eine Abhandlung über Ängste und Schuldgefühle im Zusammenhang mit ihrer Berechtigung: wenn ich selber etwas falsch mache ODER wenn mir die Schuld für andere ungerecht gegeben wird. Ersteres scheint irgendwie in dem Mutter-DU-Gewissen angesprochen zu sein, aber das würde ich noch genauer ausdifferenzieren.
Das bringt uns zum Themenkomplex Gewissen-Gerechtigkeit, da müsste noch was her…
Vielleicht hilft uns das Wort Jesu: „Euch aber, meinen Freunden, sage ich: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, euch aber sonst nichts tun können.
Lk 12,5 Ich will euch zeigen, wen ihr fürchten sollt: Fürchtet euch vor dem, der nicht nur töten kann, sondern die Macht hat, euch auch noch in die Hölle zu werfen. Ja, das sage ich euch: Ihn sollt ihr fürchten.“
Umgekehrt kann auch das WIR-Gewissen Schuldgefühle haben (berechtigt/unberechtigt), zb. die Woken mit ihrem Nazi-Schuldkomplex…
In Summe, würde ich sagen, gibt es da noch viel zu besprechen. Das soll ja auch so sein, schließlich soll uns in unserem Geistesleben nicht fad werden….
LG KNI
Da gebe ich Dir recht.
Das Büclein heisst eigentlich „Sinn und Unsinn des Gewissens“.
Der Zusammenhang mit der Angst führt eher zum Unsinn.
Jetzt wäre es Zeit, sich mit dem SINN des Gewissens auseinanderzusetzen.
Lg
Diesmal ein Gedankensplitter.
Das DU Gewissen kann einem Gewissensbisse nur dann verursachen, wenn man vom DU getrennt ist, sozusagen auf Distanz. Siehe zum Beispiel das Gleichnis vom verlorenen Sohn, der in der Fremde Gewissensbisse bekommt
Weiß ich nicht.
Einerseits ist es sicher schwerer zu sündigen, wenn Er einen anschaut, andererseits: wenn man dann trotzdem sündigt: Na servas! Dann gehts einem so:
LG KNI
Bin mir nicht sicher, ob ich jetzt auf einen grünen Zweig komme, aber ich kann nicht einschlafen und hatte die Eingebung, dass ich dieses Thema nun zumindest im Sinne von Stichworten zu einem Abschluss bringen sollte.
Also – in erster Linie – d.h. so wie wir es unmittelbar empfinden, ist das Gewissen ein „ungutes Gefühl“, oder – im Gegenteil – ein „großartiges Gefühl“, wenn wir in einem Zustand leben, in dem „einfach alles passt“.
Also sozusagen eine Funktion unserer Vernunft, die kontinuierlich unseren Zustand auf Stimmigkeit abklopft.
Ich würde also meine Aussage bekräftigen, dass das Gewissen IN ERSTER LINIE ein Gefühl ist.
Ein Informatiker würde sagen: eine „Audit“ – Funktion.
Eine „Audit“ – Funktion durchforstet unentwegt die Datenbank und den Hauptspeicher und sucht nach Widersprüchen.
Wenn ein Widerspruch gefunden wird, dann schlägt sie Alarm.
Aber ein „Audit“ – Alarm ist kein Alarm, der sofort wirksam wird, sondern ein Alarm, der erst dann behandelt wird, wenn der Zustand des Gesamtsystems es zulässt – in der Nacht, wenn alle Funktionen gedrosselt sind.
Eine „Audit“ – Funktion ist auch lernfähig. Wenn eine übergeordnete Instanz der „Audit“ – Funktion beibringt, dass ein erkannter Widerspruch in Wirklichkeit kein Widerspruch ist, dann wird sie in Zukunft von einer Alarmierung bei diesem „Widerspruch“ Abstand nehmen.
Und ich denke, da sind wir mit der informatischen „Audit“ – Funktion gar nicht so weit weg von der Funktion des Gewissens, denn auch das Gewissen ist eine Funktion der VERNUNFT und die Vernunft ist sowohl lern- als auch irrtumsfähig.
Natürlich kann die Vernunft nur aufgrund der Daten agieren, die von den Sinnen erarbeitet werden und aufgrund der Erkenntnisse und Offenbarungen, die die menschliche Erkenntnisfähigkeit vom Hl. Geist geschenkt bekommt.
Aber da sind eben auch die lieben Mitmenschen, die bei der Entwicklung des Gewissens mitmischen.
Wenn ich jemandem vertraue, dann heisst das soviel, wie dass ich ihm erlaube, in mein Gewissen dreinzupfuschen.
Ob Gott uns wirklich so behandelt, wie die Eigentümer diese Hunde in Deinem Video behandeln, möchte ich bezweifeln, aber ich denke, WENN er uns sozusagen mit der Schnauze in unsere eigene Scheisse stoßen würde, dann würde es uns nicht besser gehen, als diesen Hunden, da gebe ich Dir recht.
Meint
Euer Christoph
Ich habe jetzt gute 30 Minuten gegoogelt, aber ich finde diese Legende nicht.
Irgendwann einmal hat mir irgendjemand von einem großen Heiligen erzählt, der Gott gebeten hat, dass er einen Blick auf die eigene Seele machen dürfe.
Und beim ersten Blick auf die eigene Seele hat er sich angewidert abgewendet und gesagt: Herr, bitte lass mich diesen furchtbaren Anblick nie wieder erleben.
Na ja, das „guilty dog“ video sollte eher der Unterhaltung dienen! Muss auch mal sein.
Aber es hat auch für Menschen was Wahres: Schau dir die Hunde an: Sie wissen, dass sie Scheiße gebaut haben, BEVOR der Besitzer aktiv wird!
Und die Besitzer machen etwas richtig: Sie bestrafen die Hunde nur durch das Vorhalten ihrer eigenen Taten. Sie schreien nicht einmal.
Mir kommt es so vor, als würde es der liebe Gott mit uns genau so machen.
Ad: „Ich würde also meine Aussage bekräftigen, dass das Gewissen IN ERSTER LINIE ein Gefühl ist.“
Interessanterweise trifft das auf mein Gewissen nicht zu. Anscheinend verbildlicht sich das Gewissen bei jedem Menschen anders; anscheinend sind die Unterschiede groß.
Ich würde sagen: Das Gewissen (bei mir) ist eine Instanz der Beratschlagung mit mir selbst, und Gott flüstert in diese Beratschlagung hinein. Leise, aber auf Dauer wirkungsvoll.
Für mich ist das Gewissen definitiv kein „Gefühl“, wenn überhaupt, ist das Gefühl ein Nebenprodukt der Gewissensentscheidungen.
Im Gegenteil, ich würde sogar sagen, dass das Gewissen bei mir ein Ort der größten geistigen Ruhe ist, ein Ort der Klarsicht, an dem so etwas Lautes wie ein Gefühl nur stören würde,
Aus meiner Sicht ist das logisch oder zumindest selbstkonsistent, da ich ja sonst das Flüstern Gottes nicht erahnen könnte.
LG KNI
Offensichtlich meinen wir beide hier mit ein und demselben Wort unterschiedliche Dinge.
Ich meine mit dem „unguten Gefühl“ das schlechte Gewissen NACH der Tat.
In einem anderen Büchlein nannte ich es den Zustand der GOTTFERNE, der auch viel mit dem Begriff der ERBSÜNDE zu tun hat.
Du hingegen beschreibst das Gewissen als eine beratende Instanz VOR der Tat.
Und ich denke, es ist OK, beide Dinge als „Gewissen“ zu benennen.
Ich beziehe mich auf das Gewissen allgemein, du meinst anscheinend nur das schlechte Gewissen.
Ich würde auch sagen, dass Gewissen beides ist, aber das schlechte Gewissen hat ja (schau dir die guilty dogs an) bereits eine Fehlfunktion.
Mir scheint aber, dass du ursprünglich auch das allgemeine Gewissen gemeint hast?
LG KNI
Nein, ich meine schon das GESAMTE Gewissen.
Aber das Gewissen IM NACHHINEIN ist ein ECHTES Gefühl – weil die Tat ja schon TATSÄCHLICH vorliegt – und das Gewissen IM VORHINEIN ist nur ein VIRTUELLES Gefühl – weil wir die Tat ja nur im Kopf SIMULIEREN.
Also bei mir können auch simulierte Taten echte Gefühle auslösen….
Aber wie gesagt, ich halte das Gewissen für mehr als nur ein Gefühl. Nämlich jene innere beratende Instanz, die solche Gefühle zwar auslösen kann, aber nicht muss.
Das bloße Gefühl sagt nämlich nichts über die tatsächliche Verbindung mit Gott aus.
LG KNI